Bericht eines 15- jährigen Mädchens

(Name sind von der Redaktion geändert worden)

Beschreibung meines Gilles de la Tourette-Syndroms:

Mein Tourette-Syndrom bekam ich mit 7 Jahren, vermutlich aufgrund einer Amoxypen- Behandlung gegen eine Angina. Ich benutze bewusst nicht das Wort "Krankheit", da ich der Meinung bin, nicht krank zu sein.

Es wird sich zwar ergeben, dass ich das Wort den Umständen halber trotzdem verwenden muss, denn welches Syndrom gibt es, dass nicht nach krank- seinklingt? Aber trotzdem fühle ich mich nicht krank. Ich kann ja schließlich alles machen, da ich weder körperlich noch geistig behindert bin. Meine Fähigkeiten werden durch nichts eingeschränkt. Ich kann alles machen, was ein anderes Mädchen meines Alters auch tun kann. Deshalb bin ich nicht richtig krank.

Ein anderer wichtiger Gesichtspunkt ist, dass ich noch nie unter dem Syndrom mit all seinen Tics gelitten habe und auch nicht vorhabe, mich selbst zu bemitleiden. Ich sehe das Ganze eben als Fügung des Schicksals und dafür kann keiner was. Außerdem informiere ich mich nicht über diese Krankheit, da ich fest davon überzeugt bin, dass ich mir so die Tics nur herbeihole, die ich noch nicht hatte. **

Das ist also meine Grundeinstellung zu meinem Tourette- Syndrom.

**Anmerkung der Redaktion:Dieses Phänomen, Tics zu kopieren, ist unterschiedlich ausgeprägt oder gar nicht vorhanden.

Nun zu meinen Tics:

Anfangs äußerte sich das Ganze in Augenzwinkern, Zusammenzucken und Strecken der Schultern und des Nackens, Fingerschnipsen ( Zeige-, Mittel-, Ring-, und kleiner Finger über die Innenseite des Daumens), Nachziehen eines Fußes. Teilweise musste ich alles, was ich aus Versehen berührte, der "Gerechtigkeit halber" auch mit der anderen Hand, dem anderen Fuß oder dem anderen Arm usw. berühren. Zudem musste ich immer wieder "kieksen", also mit geschlossenem Mund die höchsten Töne quietschen, was ich selber oft ganz lustig fand.

Diese äußerlichen Tics bekam ich mit Autogenem Training erst in den Griff und anschließend völlig weg. Doch dann änderten sich die äußeren Tics in innerliche. Ich musste zum Beispiel immer wieder Fenster, Straßenlaternen, Häuser, Bodenfliesen usw. im Geiste zählen. Auch schnell gedachte Adjektivketten (schön, lustig, hässlich, ulkig, witzig, ...) waren mit von der Partie. Ich war danach allerdings nicht oder nur teilweise imstande, die Wortkette langsam und laut aufzusagen- wahrscheinlich weil es so viele Wörter waren.

Einmal hatte ich das seltsame Gefühl, und ich betone, dass ich bei Sinnen und mir absolut darüber im Klaren war, dass es diese Erscheinung weder gibt, noch dass ich sie wirklich fühle oder sehe, noch dass irgend jemand anderer das sehen könnte: Ich hatte das Gefühl, eine Art Elefantenrüssel gehe von meinem Nacken / meinen Schultern aus. Dieses interessante Gebilde konnte sich ganz lang ziehen, irgendwo einhängen und die Gegend erkunden. Das war mein einziger Tic, der mich etwas aufgeregt hat. Der Rüssel bestand aus einer Art virtuellem Gewebe mit den Farben: violett, grau, braun, grün und cremeweiß. Er war irgendwie glitschig glänzend, weich, bewegte sich schlängelnd, war am Ansatz dicker und verjüngte sich zur Spitze hin. Diese Spitze war scheinbar irgendwie empfindlich (wie beim Elefanten auch) und konnte sich wie gesagt überall, z.B. in Baumwipfeln oder an unseren Domtürmen, einhängen.

Mittlerweile bin ich seit mehr oder weniger zwei Jahren beschwerdefrei, bis auf ein paar nicht nennenswerte Kleinigkeiten, wenn ich einmal meine Tabletten, von denen ich drei am Tag nehmen muss, vergessen habe. Diese Tabletten heißen übrigens Tiapridex und helfen mir sehr gut.

Mein Tourette- Syndrom und mein Umfeld

Anfangs wurde ich in der Schule selbstverständlich auch gefragt, was ich denn habe und warum ich das so mache. Daraufhin antwortete ich dann meistens: "Das ist eben meine Krankheit, und da muss ich manchmal so zucken und so", was meine Mitschüler ungemein beeindruckte und mir sogar einen gewissen Respekt (!) verschuf. Natürlich wurde ich auch von (nur) einem Klassenkameraden nachgemacht, was mich allerdings äußerst belustigte, da er es völlig falsch machte, was für mich einen weiteren Sieg bedeutete.

Später mit meinen mittlerweile innerlichen Tics wurde ich nicht mehr gefragt und sogar meine Mutter bemerkte erst nach längerer Zeit oder wenn ich ihr davon erzählte, dass sich wieder ein neuer angesagt hatte.

Meine Meinung zu meinem Tourette

Ich bin der Meinung, dass ich äußerst froh sein darf, dass es bei mir so früh erkannt wurde (dazu mein großes Lob an meinen Hausarzt und ein besonders großes Lob an meinen mich seit Beginn des Tourette behandelnden Arztes in Regensburg, der mir so gut bei dieser Krankheit mit all ihren Schikanen geholfen hat, und dem ich seither sehr vertraue, da er mich nicht zu einer Irren erklärt hat, denn solche Ärzte gibt es ja bekanntlich auch.)

Ich finde auch, dass ich froh sein darf, dass ich es so früh bekommen habe, denn nur so habe ich gelernt, richtig damit umzugehen. Ich habe also schnell angefangen, die Krankheit zu verstehen, zu akzeptieren und zu beschreiben, was auch meinen Ärzten behilflich gewesen sein dürfte. Ich empfand das Ganze als normal, obgleich mir aufgrund meines Umfeldes klar war, dass ich nicht ganz normal war, aber das wiederum war mir egal. Es war für mich auch nicht wichtig, denn was ist schon normal und was nicht. Jeder hat doch im Prinzip seine persönlichen Tics.

Ich stehe dem Syndrom also keineswegs feindlich gegenüber, obwohl ich fest daran glaube, es irgendwann loszuwerden- spätestens, wenn ich eine Familie gegründet habe. Ich kann ja schließlich keine Windeln wechseln, wenn ich gleichzeitig das zwingende Bedürfnis habe, wild mit Spaghetti um mich zu werfen, oder?

Meine persönlichen Eigenheiten, die ich deshalb aufschreibe, weil ich denke, dass gerade sie einen Tourette- Patienten auszeichnen könnten:

Ich bin sehr pedantisch, koche gern, rauche nicht, arrangiere gern Blumensträuße, bin laut meiner Lehrer, Eltern usw. sehr intelligent, schlafe am liebsten nur mit offener Tür im ziemlich hellen Zimmer im eiskalten Bett, habe Neurodermitis, lese gern, aber leider nicht allzu oft, zeichne und bastle für mein Leben gern und löse irgendwelche technischen oder kniffligen Aufgaben, kann gut mit Geld umgehen (sagen meine Eltern), muss selten auf die Toilette ( tja!), mag Sprachen gern, liebe Witze und habe Humor, bin gläubig (röm.katholisch) und spreche gern mit Gott, bin ordentlich, bin gut in der Schule und habe gute Noten, mag keine Horror-, Alien-, Grusel- und Science- fiction- Filme, bin weichherzig und gefühlvoll, kann sehr emotional werden, bin mitleidig und habe nahe am Wasser gebaut, bin neugierig, vermittelnd bei Auseinandersetzungen, liebe Jazz und möchte immer sauber und gepflegt sein.

Ich hoffe, dieser Überblick über mich und mein Tourette- Leben kann Euch weiterhelfen, denn es ist mir ein großes Anliegen, auch anderen Betroffenen so bald wie möglich zu helfen.

Quelle: Mitgliederzeitung der Tourette-Gesellschaft Deutschland "Tourette Aktuell" Nr. 4